am 15.10.2020

"Heim-WM ist ein einmaliges Privileg"

Karl 161

Für Karl Geiger läuft der Countdown für Tournee und Weltmeisterschaft

Der Countdown läuft. Der Winter hat sich schon mal angekündigt. Auch wenn der Schnee (noch) nicht liegenbleibt, so gilt es doch, sich auf die kalte Jahreszeit einzustellen. Während sich die einen nach den warmen Sommertagen zurücksehnen, können es die anderen kaum erwarten, die Skier anzuschnallen.
Zu den Highlights im kommenden Winter gehören zwei Großereignisse im Allgäu. Bis zur Vier-Schanzen-Tournee sind es noch knapp 13 Wochen, bis zur Nordischen Weltmeisterschaft noch 140 Tage. Für einige einheimische Sportler sicherlich der Höhepunkt in diesem Sportjahr, vielleicht sogar ihrer Karriere.
Zu ihnen gehört auch Karl Geiger aus Oberstdorf. Wie jeder Wintersportler hat er den Sommer genützt, sich auf diese Events vorzubereiten. Intensive Krafteinheiten im Kraftraum, Ausdauereinheiten auf dem Rad oder zu Fuß, Gymnastik und Reaktionstraining gehören zu seinem Alltag.
Ein besonderer Fokus liegt auf dem Schnellkrafttraining, gilt es doch, auf der Schanze innerhalb von Millisekunden den optimalen Absprungpunkt zu treffen und schnell eine gute Flugposition einzunehmen. Deshalb wird er seine Absprungmuskulatur so trainieren, dass er möglichst viel Kraft in schnelle Bewegung umsetzen kann. „Weitere Trainingsschwerpunkte liegen in den Bereichen Koordination, Beweglichkeit und natürlich auf der Schanze“, erzählt Karl Geiger (27).
Zwischen seine täglichen Trainingseinheiten hat er nun noch seine Hochzeit mit Franziska eingeschoben. Die Flitterwochen bestehen aus Corona-, aber auch aus Zeitgründen aus zwei Tagen im Oberbayerischen. „Den richtigen Hochzeitsurlaub werden wir nach der kirchlichen Trauung nachholen, welche aber erst später geplant ist“, erklärt er mit einem Schmunzeln.
Doch zuerst stehen die Vierschanzentournee (29.12.2020) und die Nordische Weltmeisterschaft (23.02. – 07.03.2021) vor der Türe. Unter anderen Voraussetzungen als die Jahre zuvor. Waren es 2019 noch 25.000 Zuschauer in der Audi Arena, die seinen 2. Platz frenetisch feierten, werden es dieses Mal nur 2.500 sein, sollte Corona diese Planung nicht auch noch über den Haufen werfen.
„Die Tournee und die WM hier in der Heimat sind schon etwas ganz Besonderes, ein Privileg, das nur einmal im Sportlerleben vorkommt“, sagt der Modellathlet. Dass es dieses Mal nur 2500 Zuschauer sein sollen, bedauert er, hat er doch die Vier-Schanzen-Tournee vom letzten Jahr noch in bester Erinnerung. Nach dem ersten Durchgang war nur der Japaner Ryoyu Kobayashi vor ihm. „Dort oben auf dem Startbalken konnte man die Vibrationen spüren, die von den Anfeuerungsrufen der 25.000 Zuschauer ausgingen.“ Gänsehautfeeling pur. Lief er in der Vergangenheit den hoch gesteckten Erwartungen in Oberstdorf immer wieder hinterher, so zog er dieses Mal, wissend um seine gute Form und ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein, „das Ding durch“. Auch den Nachteil der in diesem Winter zahlenmäßig wenigen Zuschauer kommentiert er nüchtern: „Wir kennen diese Situation von Springen in Russland oder Finnland. Für mich als Athlet gilt es mein Zeug zu machen. Die Zuschauer pushen vor allem dann extrem, wenn man in einer sehr guten Form ist.“
Wie wichtig die Vorbereitung im Sommer ist, erläutert er folgendermaßen: „Hat sich in der Grundtechnik ein Fehler eingeschlichen, kann ich den im Sommertraining bei vielen Sprüngen im Kraftraum abstellen. Auf der Schanze habe ich nur zwei Sprünge. Ein kleiner Fehler im System bedeutet im Winter keine Spitzenplatzierung.“ Als Folge stellt sich eine Unsicherheit ein. Ohne schlüssige Erklärung, warum es im Ergebnis auf einmal zehn Meter weniger sind. „Deshalb müssen wir, Athlet und Trainer, immer wachsam sein. Die besten Sprünge gelingen mit einer klaren Vorstellung im Kopf, einer Fokussierung auf die wichtigen Punkte, aber auch ohne Verkrampfung, sondern mit einer gewissen Lockerheit. Wenn das Gesamtpaket stimmt, kommt der Erfolg von selbst.“
Karle begann mit dem Springen schon sehr früh. Trainierte er aber anfangs auch noch das Langlaufen, so wusste er schon bald, wo seine Bestimmung lag. Doch die Anfangsjahre entpuppten sich jedoch nicht als besonders vielversprechend. 2012 hatte er seinen ersten Weltcupeinsatz. Doch der richtige Durchbruch gelang ihm erst in Pyeonchang 2018, als er im Team-Wettbewerb, zusammen mit Stephan Leye, Richard Freitag und Andreas Wellinger, die Silbermedaille hinter Norwegen holte. In der Saison 2018/19 gewann Geiger sein erstes Weltcupspringen in Engelberg. Bei den Nordischen Weltmeisterschaften 2019 war er nur knapp hinter seinem Mannschaftskollegen und Sieger Markus Eisenbichler. Die Saison 2019/20 war seine erfolgreichste. Die Tournee beendete er als Gesamtdritter. Vor ihm waren nur Dawid Kubacki (Polen) und Marius Lindvik (Norwegen). Wenige Tage später gelang Geiger sein dritter Weltcupsieg in Predazzo (Italien), mit dem er auch zum ersten Mal das Gelbe Trikot des Weltcup-Führenden eroberte. Zu seinen Highlights gehört sicher auch der 1000. Weltcupsieg in Lahti im Rahmen der Lahti Ski Games.
Dass auch Enttäuschungen zu einem Springerleben gehören, musste Karle leidvoll erfahren. „Besonders bitter war für mich, dass ich bei der Skiflug-WM 2018 in Oberstdorf nicht im Wettkampf starten durfte. Es dürfen bei einem Großevent nur vier Athleten starten und, wenn man dann die Nummer fünf ist, trifft einen das, vor allem zu Hause, schon hart.“ Ebenso erging es ihm bei der WM in Lahti, als er im Team-Wettbewerb den undankbaren Zuschauerplatz innehatte.
Und doch hat ihn das nur noch stärker gemacht. Bei Karle, der wie viele andere Leistungssportler beim Zoll angestellt ist, spielt sich viel im Kopf ab. „Erfolgreiches Skispringen bedeutet, mental stark zu sein. Es ist vieles möglich, wenn die richtige Idee im Kopf da ist.“
Und so geht er auch alles andere an. Ein Studium an der Uni Kempten beendet er neben seinem Voll-Time-Job als Sportler mit dem Bachelor im Fach Energie- und Umwelttechnik. Doch in seiner ruhigen, unaufgeregten und sachlichen Art sieht er darin eher eine positive Energie als eine Belastung.
Erster Gradmesser seiner Form sowie eine erste Standortbestimmung wird das erste Weltcupspringen in Wisla/Polen sein.

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